Veröffentlichungen

Unser Verhältnis zur Wahl

Am 9. Juni 2024 werden in Baden-Württemberg Kommunalwahlen abgehalten. Die Wahl des Europaparlaments wird auf dem gleichen Stimmzettel zu finden sein. Die AfD erhält nach wie vor sehr hohen Zuspruch. Bei den bürgerlichen Parteien ist ein seit langem anhaltender Rechtsruck zu erkennen.
Als Kampagne begleiten wir den Kommunalwahlkampf in Heidelberg bekämpfen rechte Politik, egal von wem sie kommt. Dabei rufen wir bewusst nicht zur Wahl einer bestimmten Partei auf. Im Folgenden wollen wir unsere Gründe dafür darlegen.

Alle 5 Jahre finden in Baden-Württemberg Kommunalwahlen statt, mit denen die lokale Verwaltung der Bürger*innen, der Gemeinderat, gewählt wird. Der Wahlkampf um die Sitze im Gemeinderat wird in den nächsten Wochen die Hauptaufgabe der Parteien und Lokalpolitiker*innen sein. So wollen beispielsweise die Grünen ihre Mehrheit nicht verlieren, während die zwei momentanen AfD-Stadträte Timethy Bartesch und Sven Geschinski die Umfragewerte der AfD in eine „starke Fraktion“ im Gemeinderat umsetzen wollen. Im Wahlkampf sind die Parteipolitiker*innen besonders aktiv und geben sich größte Mühe, sich nahbar und verständnisvoll gegenüber den Belangen der Bürger*innen, die sie wählen sollen, zu zeigen. Doch auch parteilose Kandidat*innen und Zusammenschlüsse wie die „Freien Wähler“ oder die rechtsoffene Liste „IDA“ haben realistische Chancen, (wieder) in den Gemeinderat einzuziehen.

Die Perspektive unserer Kampagne auf die Gemeinderatswahl ist zweiseitig: Einerseits werden wir uns nicht darauf verlassen, dass rechte Politik auf parlamentarischem Wege verhindert wird –  schon gar nicht von denen, die sie befürworten und aktiv vorantreiben.
Andererseits wäre es falsch, daraus abzuleiten, dass es egal ist, wer im Gemeinderat sitzt. Wir können nicht außer Acht lassen, dass politische Machtverschiebungen einen direkten Einfluss auf die Lebensrealitäten der Menschen haben – auf lokaler Ebene kann das besonders schnell spürbar werden. Für die AfD beispielsweise ist der Ausbau ihrer politischen Handlungsfähigkeit in den Kommunen als lokale Machtbasis der Schlüssel für die langfristige Durchsetzung ihrer Agenda. Die Netzwerke, die die AfD in Heidelberg aufbaut, dürfen nicht unterschätzt werden, nur weil sie im lokalen Gemeinderat kaum noch etwas zu sagen hat.

Gleichzeitig müssen wir auch ohne eine Mehrheit der AfD im Gemeinderat feststellen, dass die sozialen Probleme in Heidelberg lieber unter den Tisch gekehrt als gelöst werden. Öffentlichkeitswirksame Bekenntnisse gegen Rechts und für soziale Gerechtigkeit sind nett anzuhören, aber wenn Menschen in immer neuen Krisen nicht mehr wissen, wie sie beispielsweise die nächste Miete zahlen sollen, ist das ein Anknüpfungspunkt für die AfD: Den  Nationalismus kann sie für ihre eigenen Zwecke nutzen und spielt damit Menschengruppen gegeneinander aus.

Der Heidelberger Gemeinderat ist also ein weiterer Handlungsspielraum, in dem sich rechte Politik einnisten will und viele der bürgerlichen Parteien schon jetzt unsozial handeln. Wir kämpfen also nicht um den Gemeinderat als vermeintlichen Tempel der Demokratie, den die AfD beschmutzt, sondern wollen grundsätzlich verhindern, dass rechte Politik in entscheidungsmächtigen Gremien durchgesetzt werden kann.

Wir glauben nicht daran, dass wir alle 5 Jahre nur die vermeintlich richtige Partei wählen müssen, damit unsere Probleme gelöst werden. Die AfD jedenfalls löst gar keine Probleme, sondern deutet jeden sozialen Missstand in eine Frage von innen und außen um. Die Abschottungsgesetze, die Hetze gegen Erwerbslose und die Aufrüstung, die auch ohne AfD an der Macht umgesetzt werden, bestätigen uns in unserem Anliegen, eine Gegenmacht von unten aufzubauen, anstatt darauf zu warten, dass die vermeintlich richtige Partei uns endlich rettet.

Für uns bleibt die wichtigste Wahl die Solidarität unter Genoss*innen, das gemeinsame Handeln für ein solidarisches Miteinander und der Kampf gegen rechte Politik.


Textveröffentlichung: Was ist Nationalismus?

Wie der Titel unserer Kampagne deutlich macht, wollen wir unter anderem gegen einen immer stärker werdenden Nationalismus vorgehen. Aber was verstehen wir eigentlich unter Nationalismus?
Viele werden bei Nationalismus zuerst an die NPD oder AfD denken, an „stolze Patriot*innen“ oder vielleicht an eine kalkulierte Entgleisung von Konservativen.
Nationalist*innen stellen ihre Liebe zur Nation immer wieder hervor, schwenken zu jeder Gelegenheit Deutschlandfahnen und äußern sich offen chauvinistisch, wenn sie die Vorzüge oder Überlegenheit des eigenen Landes gegenüber anderen betonen.
Das alles ist Nationalismus. Aber nicht nur das. Wenn wir in unserer Kampagne einen immer stärkeren und unverhohleneren Nationalismus auch in anderen Parteien als der AfD kritisieren, dann geht es um mehr als stumpfes Deutschlandfahnen-Schwenken.

Wenn Robert Habeck immer wieder betonen muss, wie stolz er darauf ist, „was dieses Land gerade leistet“, wenn Olaf Scholz „Deutschlands Widerstandsfähigkeit stärken will“, dann ist ist das nichts anderes als nationalistische Rhetorik. Auf die Frage, was „deutsch sein“ bedeute, antwortet Christian Lindner, dabei handele es sich um den „Stolz auf eine Verfassung, die offen ist für den Patriotismus“.
Unterscheiden sich Patriotismus und Nationalismus eigentlich? Patriotismus ist die positive Bezugnahme auf „das Vaterland“ und beinhaltet bereits implizit eine Abwertung derer, die der eigenen konstruierten Gruppe nicht zugehörig sind. Nationalismus ist eine Ideologie, die eine homogene nationale Einheit beschwört und deren Interesse gegenüber anderen Nationen durchsetzen will. Wenn diese Homogenität darüberhinaus an rassistische Vorstellungen über Ethnien geknüpft ist, handelt es sich eindeutig um völkischen Nationalismus. Die Begriffe haben also eine große Schnittmenge und sind schwer abgrenzbar. Patriotismus wird häufig verharmlost oder als Tugend dargestellt, wohingegen Nationalismus eher negativ behaftet ist. Dass Politiker*innen sich selbst als Patriot*innen bezeichnen oder sich positiv auf Patriotismus beziehen, ist keine Seltenheit – als Nationalist*innen würden sich jedoch momentan wenige Politiker*innen bezeichnen, auch wenn ihre politische Agenda genau diesem Begriff entspricht. Nationalismus ist somit aus der bürgerlichen Politik nicht wegzudenken.

Warum ist das so?
Der moderne Nationalstaat hat seinen Ursprung im Antritt der Bourgeoisie als herrschende Klasse – von Anfang an steht die Nation im Zentrum ihrer Rhetorik. Das Nationalbewusstsein gründete sich damals wie heute zwangsläufig mit Feindbildern und umgekehrt ist der Nationalstaat Voraussetzung für eine stabile völkische Identität und vermeintliche Solidarität unter „Volksangehörigen“.
Bis heute sagen bürgerliche Parteien nicht, dass sie Politik für das Bürger*innentum machen, sondern für alle Menschen im Land. Selbst elitäre Marktradikale meinen, dass ihr Programm am Ende dem ganzen Land zu Gute käme, unter anderem durch den längst widerlegten „trickle-down“-Effekt. Dass das eine Lüge ist, da vom obszönen Reichtum der oberen 10 Prozent bei der ärmeren Hälfte der Bevölkerung nichts ankommt, fällt mittlerweile immer mehr Menschen auf. Wer also das Wohl der Nation, des Landes oder „aller“ im kapitalistischen Staat beschwört, meint zwangsläufig das Wohl der herrschenden Klasse. Das Wohl der Ausgebeuteten und Unterdrückten ist bestenfalls symbolisch mitgemeint.

Was ist der Hintergrund?
Der Widerspruch zwischen Arbeiter*innenklasse und Bourgeoisie soll in der Nation befriedet werden. Alle, egal ob Arbeiter*innen, Kleinbürger*innen oder Kapitalist*innen, sollen um den Erfolg Deutschlands bemüht sein. Sie sollen als Gemeinschaft arbeiten, obwohl diejenigen, die auf ihren monatlichen Lohn angewiesen sind, auf dem Markt in Konkurrenz zueinander gesetzt werden. An die Arbeiter*innen werden hin und wieder Zugeständnisse gemacht: So dürfen Gewerkschaften die Interessen der Arbeiter*innen in Form von höheren Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen vertreten. Diese Interessenvertretung muss aber immer dem Wohl der nationalen Wirtschaft untergeordnet sein und darf nicht zu weit gehen, denn das Märchen lautet: „Geht es der Wirtschaft gut, geht es allen gut. Während nur wenige vom wirtschaftlichem Aufschwung profitieren, sind es auf der anderen Seite diejenigen mit wenig oder keinem Besitz, die die Auswirkungen immer neuer Wirtschaftskrisen als erste und am deutlichsten spüren.

Was ist Standortnationalismus?
Diese Politik, die mit dem Verweis auf „unseren“ Wirtschaftsstandort Deutschland, der gepflegt und beschützt werden muss, begründet wird, nennt man auch „Standortnationalismus“. Er gehört zur ideologischen Grundausstattung aller bürgerlicher Parteien, ist aber auch in Teilen der Arbeiter*innenbewegung zu finden, beispielsweise in vielen Gewerkschaftsführungen. Er wird gerne angeführt, wenn es darum geht, Arbeitskämpfe einzuschränken und zum Wohle der wirtschaftlichen Stabilität des Landes den Burgfrieden zwischen Ausgebeuteten und Ausbeuter*innen auszurufen. So sagte Yasmin Fahimi, DGB-Vorsitzende und SPD-Mitglied, im Januar 2024: „Als Gewerkschaften haben wir selbstverständlich ein großes Interesse daran, dass unser Land weiterhin attraktiv bleibt für industrielle Wertschöpfung und gute Arbeitsplätze in der Industrie.“ In dieser Erzählung wird ein möglichst harmonisches Verhältnis zwischen Ausbeuter*innen und Ausgebeuteten angestrebt – die Besitzer*innen der Produktionsmittel sollen möglichst wenig Ärger mit denjenigen haben, die für sie arbeiten. Im Gegenzug sollen sich die Arbeiter*innen über ein wenig mehr Lohn freuen und Ruhe geben. Der Interessenskonflikt zwischen Chef*innen und Arbeiter*innen wird geleugnet – es wird so getan, als wäre ein „guter“ Arbeitsplatz für beide das gleiche, obwohl das Gegenteil der Fall ist.

Die Erzählung ist nämlich, dass der Kuchen der gesamten deutschen Wirtschaft wachsen müsse, damit die Gewerkschaften ein größeres Stück verhandeln können. So wird der Standortnationalismus zur Grundlage des Handelns der Gewerkschaftsführung und lieferte das passende Vokabular zur Unterstützung des Sozialabbaus der Agenda 2010 oder für den Verzicht auf Streiks in Zeiten der Krise. So ließ Habeck mit Blick auf parallel stattfindende Arbeitskämpfe zuletzt verlauten, dass wir uns Streiks „momentan nicht leisten“ können. Als Teil der bürgerlichen Herrschaft sind für ihn nicht die Superreichen das Problem, sondern vielmehr diejenigen, die für etwas mehr Lohn auf die Straße gehen und den reibungslosen Ablauf der Wirtschaft stören.
Dass Teile der Arbeiter*innenbewegung bürgerliche Narrative übernehmen, hängt mit der Absage an den Klassenkampf und der Etablierung des Prinzips der Sozialpartnerschaft zusammen: iIn diesem sind Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmervertreter*innen bemüht, gemeinsam Kompromisse zu finden und offene Konflikte zu verhindern, die „dem Land schaden“.
Dies ist Ausdruck der Integration der Arbeiter*innenbewegung in das kapitalistische System und des damit verbundenen Nationalismus.

Nationalismus in all seinen Farben
Während die rassistischen, völkischen Nationalist*innen im öffentlichen Diskurs immer noch eher als Außenseiter*innen betrachtet werden, gehört der Standortnationalismus jedoch zum guten Ton. Aber sind das wirklich zwei verschiedene Ideologien? Oder sind sie vielleicht doch näher verwandt als Habeck, Scholz und Co. zugeben?
Auch in der AfD wird sich um den Standort Deutschland gesorgt, sie beansprucht das sogar als ihr Gründungsanliegen. Besonders in ihren frühen Jahren vertrat sie den Standpunkt, dass der Euro Deutschland schade und eine Rückkehr zur D-Mark der Konkurrenzfähigkeit des deutschen Marktes und der deutschen Konzerne guttäte. Für das Wohl der Nation, den wirtschaftlichen Erfolg von Deutschland, kämpfen also fast alle Parteien, nutzen dabei allerdings unterschiedliche Begriffe und Symbole.

Wer für den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands potenziell oder tatsächlich bedrohlich ist, bekommt das schnell zu spüren. Hierbei kommen auch Rassismus, Sexismus, Ableismus und andere Diskriminierungsformen ins Spiel. Ein Beispiel für den Zusammenhang von Standortnationalismus und Rassismus ist Thilo Sarrazin, ehemaliges SPD-Mitglied und Finanzsenator, der mit rassistischen, kulturkämpferischen Büchern zum Bestsellerautor wurde. Seine Thesen in dem Buch Deutschland schafft sich ab bestanden maßgeblich aus der Sorge, dass Migrant*innen nicht gut verwertbar seien und Deutschland wirtschaftlich schwächen sowie die Sozialsysteme überlasten würden. Rassismus hält so als Rechtfertigung für die Kürzung von Sozialleistungen her. Gleichzeitig machte Thilo Sarrazin sehr deutlich, was aus herrschaftlicher Sicht ein „guter“ Standort bedeutet: „Ein Standort mit niedrigem Einkommen ist auch nicht unbedingt ein schlechter Standort, sondern im Gegenteil, man kann dort billiger produzieren.“

Hoch die internationale Solidarität!
Einerseits führt Nationalismus also zum Zusammenschluss der verschiedenen Klassen innerhalb der konstruierten Gemeinschaft, der Nation. Gleichzeitig wird dadurch aber auch festgelegt, wer nicht dazugehört. Unter dem übergeordneten Ziel des Erhalts und der Steigerung des nationalen Wohlstands, werden internationale Ausbeutungsverhältnisse zur Notwendigkeit. Oft geht damit eine Abwertung und ein Entrechten der Anderen einher. So können Nationen des Globalen Nordens menschliche Arbeitskraft und natürliche Ressourcen des Globalen Südens mit deutlich radikaleren Praktiken, die innerhalb der eigenen Nation nicht toleriert werden, ausbeuten. Die Anhäufung von Kapital schert sich nicht um Menschenrechte oder den Klimawandel. Im Gegenteil: Je größer die Ausbeutung, desto schneller vermehrt sich das Kapital. Der Reichtum einzelner Weniger, in deren Hände sich das Kapital konzentriert, bedarf demnach der Existenz eines Globalen Südens.

Im internationalen Kampf geht es darum, zu erkennen, dass wir der gleichen kapitalistischen Verwertungslogik unterworfen sind, dass es auch anders funktionieren kann und dass wir unsere Kämpfe verbinden müssen.

Die AfD und beinahe alle anderen Parteien setzen sich für den Wirtschaftsstandort Deutschland ein. Sie vertreten die Behauptung, dass das, was für die Wirtschaft gut sei, für alle Menschen gut sei. Der maßgebliche Unterschied zwischen den Parteien besteht also darin, wie sie für den nationalen Erfolg Deutschlands werben und wie sie die Anstrengungen dafür einfordern. Die AfD schreibt sich auf die Fahne, die vermeintlichen Anliegen der Deutschen besonders hoch zu priorisieren. Ihre Absage an die Europäische Union begründet sich maßgeblich darin, dass diese die deutsche Souveränität untergrabe. Für die AfD sind die anderen Parteien „Volksverräter“, da sie angeblich nicht im Sinne der Deutschen handeln, sondern vermeintlich von fremden Interessen geleitet seien. Dass Parteien beanspruchen, den wahren Willen ihres „Volkes“ zu kennen, ist beinah Standard: So war es zuletzt Anton Hofreiter von den Grünen, der die AfD als „Truppe von Landesverrätern“ bezeichnete. Es ist also stets die eigene Partei, die den angeblichen „Volkswillen“ kennt und umsetzen will – und es sind demnach immer die anderen, die diesen falsch verstehen, vernachlässigen oder sogar verraten. Die meisten Parteien unterschieden sich nicht im „ob“, sondern im „wie“, wenn sie mit Nationalismus versuchen, Frieden zwischen Ausbeuter*innen und Ausgebeuteten herzustellen.

Wir müssen der nationalistischen Logik vollumfänglich eine Absage erteilen, nicht nur ihren hässlichsten Ausprägungen. Stattdessen wollen wir eine antifaschistische Bewegung von unten bauen, frei von Verwertungslogik und Konkurrenzdenken, geleitet von der internationalen Solidarität, die die Grundlagen des Rechtsrucks erkennt und bekämpft.


Gemeinsames Statement der Seebrücke Heidelberg und der Kampagne Solidarität statt Nationalismus:
Heidelberger Grüne einigen sich auf mögliche Umsetzung der Bezahlkarte für Geflüchtete

Der Bundestag hat die Einführung einer Bezahlkarte für Geflüchtete und Asylbewerber beschlossen. Die Bezahlkarte soll kontrollieren, wie Geflüchtete mit dem wenigen Geld, das ihnen zugestanden wird, umgehen. Sie soll unter anderem verhindern, dass Geflüchtete Geld an ihre Familienmitglieder ins Ausland überweisen. Die Stadtverwaltungen erhalten nicht nur die Kontrolle über das Aufladen der Karte, sondern auch das Entladen oder Sperren. Hier zeigt sich bereits, dass es sich bei der Bezahlkarte um ein Instrument zur Überwachung, Kontrolle und Disziplinierung von Geflüchteten handelt.

Die Heidelberger Grünen schreiben in ihrem Programm für den Kommunalwahlkampf auf Seite 16: „Wir werden eine unbürokratische und kostengünstige Bezahlkarte einführen“. Bereits 04.04.24 verabschiedeten sie einen Beschluss, mit welchem sie sich auf die Einführung und Umsetzung der Bezahlkarte in Heidelberg vorbereiten. Bei ihrer Mitgliederversammlung standen zwei uns vorliegende Anträge zur Abstimmung, denn auch der Vorstand der Grünen Jugend hatte einen eigenen Antrag gestellt, der sich kaum vom Original unterschied. Dieser wurde verworfen, und so entschieden sich die Grünen Mitglieder mehrheitlich zwischen zwei rassistischen Anträgen für den rassistischeren.

Die Bezahlkarte, die die Grünen in Heidelberg einführen würden, soll laut ihnen nicht „integrationshemmend“ und stattdessen „diskriminierungsfrei“ umgesetzt werden. Dass die Bezahlkarte eine stigmatisierende Wirkung hat und Geflüchteten die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben weiter erschweren wird, scheint den Grünen Heidelberg zwar bewusst zu sein, sie halten die Karte jedoch für eine „nicht unzumutbare Härte“. Mit der Bezahlkarte wird die Kontrolle von Geflüchteten noch nahtloser und weitreichender: die Möglichkeiten zur Disziplinierung – z.B. Einschränkung der Auszahlung, Einschränkung dessen, was mit der Karte bezahlt werden kann, räumliche Einschränkung der Nutzbarkeit, etc. – sind dabei kein Nebenprodukt, sondern Ziel der Maßnahme.

In Ihren Antrag benennen die Grünen diese Disziplinierungen und sprechen sich dagegen aus, sie vollumfänglich zu nutzen. Dabei hinterfragen sie die Bezahlkarte zu keinem Zeitpunkt als grundlegend rassistisches Kontrollinstrument. In anderen Bundesländern und Gemeinden zeigt sich jetzt schon, dass die Bezahlkarte regional eingeschränkt funktionieren wird, sodass Asylbewerber*innen, die keine Arbeitserlaubnis haben und „residenzpflichtig“ sind, weiter in ihrer Freizügigkeit eingeschränkt werden. Wir befürchten, dass dies früher oder später auch Geflüchtete in Heidelberg treffen könnte, wenn wir uns nicht entschlossen der Einführung der Bezahlkarte entgegenstellen. Denn einmal eingeführt, können die Details mit Neuerungen verändert werden. Es ist deshalb ein wichtiges Signal, sich jetzt laut und deutlich gegen die Bezahlkarte zu wehren, anstatt das „wie“ zu verhandeln!

Die Grünen verkaufen die Bezahlkarte darüber hinaus als Mittel zur Förderung der „gesellschaftlichen Akzeptanz“ von Geflüchteten. Dabei ist es doch die Diskussion um die Bezahlkarte selbst, die die rassistischen Vorurteile über Geflüchtete vorantreibt. Geflüchtete sollen in der Logik des Antrags ihre Entmündigung hinnehmen und ihre lückenlose Kontrolle akzeptieren, da sie sonst in der Gesellschaft keine Akzeptanz erfahren würden – diese Logik, die die Grünen Heidelberg in ihrem Antrag offenbaren, ist perfide und schiebt die Schuld an Ausgrenzung und Rassismus den Geflüchteten selbst zu. Wir sagen: Es gibt keine progressiven Argumente für die Bezahlkarte; wer für sie argumentiert, tut dies mit nationalistischen Standpunkten, betreibt damit rechte Politik und befeuert Rassismus.

Deutlich zeigt sich dieser Nationalismus in ihrem Antrag, wenn sie fordern, dass „irreguläre Migration“ – ein maßgeblich von der AfD geprägter Begriff – „gesteuert“ werden muss. Geht es um Migration, ist in der politischen Debatte mit „steuern“ fast immer „verhindern“ gemeint. Dabei berufen die Grünen sich auf den exklusiven Rechtsanspruch auf Asyl, um im Umkehrschluss gegenüber allen, die diesen angeblich nicht haben, Abschottung und Abschiebung zu legitimieren. Sie reduzieren in ihrem Antrag den Wert von Menschen auf ihre Arbeitskraft und stellen das Potential ihrer Ausbeutung in den Vordergrund.

Die Parteien auf kommunaler Ebene sind in der Lage, die Bezahlkarte zu verhindern, denn die Einführung ist den Kommunen überlassen. In einigen Städten regt sich Widerstand gegen die Einführung der Bezahlkarte, in manchen wurde sie vorerst abgelehnt. Die Möglichkeit, sich eindeutig gegen die Einführung zu stellen, muss gegenüber den Scheinargumenten und Falschaussagen immer wieder betont werden. Die Grünen konzentrieren sich stattdessen darauf, sich als diejenigen darzustellen, die die Maßnahme so menschenwürdig wie möglich umsetzen.

Die Taktik, die eigene Politik als alternativlos darzustellen, ist billig und simpel: Wenn es angeblich keine anderen Möglichkeiten gibt, muss man weniger oder keine Verantwortung für die eigenen Entscheidungen übernehmen und kann über das „wie“ diskutieren, statt über das „ob“. So schreiben die Grünen in ihrem Antrag: „Die Bezahlkarte wird kommen“. Sie stellen sich nun als diejenigen dar, die die angeblich unvermeidbare Einführung der Bezahlkarte am vermeintlich menschlichsten umsetzen wollen. Doch es gibt keine menschenwürdige Umsetzung der Bezahlkarte!

Die FDP scharrt unterdessen bereits mit den Hufen, denn eine Ausweitung der Bezahlkarte als Kontroll- und Repressionsmittel für Asylbewerber*innen könnte nur der Anfang sein: weitere marginalisierte Gruppen, beispielsweise Bürgergeldempfänger*innen oder Rentner*innen, könnten ihre staatlichen Leistungen in Zukunft auch nur noch per Bezahlkarte erhalten. Auf Bundesebene wird darüber bei CDU und FDP bereits laut nachgedacht. Dass dagegen von der SPD, die lauthals nach immer härteren Sanktionen gegen angebliche „Totalverweigerer“ schreit, ernsthafter Widerstand kommen sollte, darf bezweifelt werden. Wir werden genau beobachten ob und wie sich die anderen Parteien im Kommunalwahlkampf zu der Bezahlkarte äußern.

Die Diskussion um die Bezahlkarte zeigt einmal mehr, wie der Rechtsruck die politischen Diskussionen vom Bundestag bis in die Kommunen durchdringt – letztlich sind es die regierenden Parteien, die sich dazu entscheiden, Ausgrenzung, Sozialchauvinismus und Rassismus mit gesetzlichen Regelungen zu verankern und verstärken. Die AfD macht die Hetze, die Ampel die Gesetze.


Bericht zur Kundgebung gegen den AfD-Bürderdialog am 25.03. im Pfaffengrund

Gestern fanden sich vor dem Gesellschaftshaus Pfaffengrund über 200 Menschen ein, um gegen den „Bürgerdialog“ der AfD zu protestieren. Mit Redebeiträgen der Kampagne „Solidarität statt Nationalismus“, der Initiative Schüler:innen gegen Rechts, der Seebrücke, der Falken, der linksjugend solid und der Antifaschistischen Initiative wurden die rechte Politik der AfD, aber auch der Rechtsruck der aktuellen Regierung aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet. Nach den Reden begrüßten wir die Gäste des „Bürgerdialogs“ lautstark und zeigten ihnen, dass sie im Pfaffengrund nicht willkommen sind. Aus unserer Sicht war der Andrang extrem überschaubar, natürlich kann es aber sein, dass sich einige Gäste durch Hintereingänge zur Veranstaltung eingeschlichen haben. Einige Menschen, die die angeblich öffentliche Veranstaltung besuchen wollten, wurden durch AfD-Securities willkürlich daran gehindert. Kurz bevor der Bürgerdialog begann, stieg ein Gegendemonstrant der AfD buchstäblich aufs Dach. Die Polizei schirmte die Veranstaltung währenddessen weiträumig mit mehreren Einsatzfahrzeugen ab.

Wir freuen uns, dass so viele Menschen gestern ein klares Zeichen gegen die AfD gesetzt haben. Es freut uns auch, dass sich im Stadtteilverein Heidelberg-Pfaffengrund Widerstand regt: Von einem Vereinsmitglied haben wir erfahren, dass zur Jahreshauptversammlung im April ein Antrag eingebracht werden soll, mit dem die AfD dauerhaft aus dem Gesellschaftshaus verbannt werden soll.

Der gestrige Abend zeigt: Die AfD muss weiterhin mit Widerstand rechnen! Es gibt viele Menschen, die die Parolen der großen Demonstrationen umsetzen wollen und dort widersprechen, wo rechte Hetze verbreitet werden soll. Lasst uns gemeinsam an diesen Erfolg anknüpfen!


Reaktionen und Ergänzungen zu unserem offenen Brief

Anlässlich der erneuten Vermietung des Gesellschaftshauses Pfaffengrund an die AfD haben wir einen offenen Brief an den Stadtteilverein, der durch die Stadt mit der Vermietung der Vereinsräume beauftragt ist, verfasst und veröffentlicht.
Hierzu haben uns einige Rückmeldungen erreicht, die wir diskutieren wollen.
Darüber hinaus hat der Stadtteilverein ein Statement veröffentlicht, das wir ebenfalls erwähnen wollen.

Kurz nach der Veröffentlichung des offenen Briefes erreichten uns neben viel Zuspruch auch mehrere Reaktionen, die uns mitteilten, dass der Stadtteilverein die falsche Adresse für unseren offenen Brief sei. Da aufgrund eines Gemeinderatsbeschlusses festgelegt sei, welche Räumlichkeiten Parteien für politische Veranstaltungen zur Verfügung stehen und welche nicht, habe der Stadtteilverein Heidelberg-Pfaffengrund keine Möglichkeit, der AfD die Räume zu verwehren. Eine Ungleichbehandlung der AfD sei nicht möglich.
Dazu möchten wir folgendes anmerken:
Wenn der Stadtteilverein seine Räume an die AfD vermietet, sollte auch verständlich sein, dass genau das Kritik erfährt. Wir können schwer beurteilen, ob der Stadtteilverein der AfD die Räume zähneknirschend aber widerstandslos überlässt, oder ob er versucht, sich dagegen zu wehren. Aus dem Statement des Stadtteilvereins geht nach unserem Verständnis hervor, dass er sich nicht in der Position und Verantwortung sieht, sich in dieser Sache mit der AfD anzulegen.
Gleichzeitig ist es natürlich korrekt, dass der Gemeinderat für die Regelungen zur Vermietung von städtischen Räumen an Parteien zuständig ist. Einzelne Gemeinderät*innen sprechen uns gegenüber diesbezüglich von einem „Neutralitätsgebot“. Das können wir nicht nachvollziehen: Denn wie kann es sein, dass Stadträt*innen rund um die große Demonstration gegen Rechts am 20.01. von der „wehrhaften Demokratie“ sprechen, im Ernstfall aber eine notwendige Neutralität der AfD gegenüber hochhalten? Wie kann es sein, dass vonseiten der Stadt, die sich selbst theatralisch mit einer „gemeinsamen Erklärung gegen Rechtsextremismus“ schmückt, nichts gegen die Vermietung städtischer Räume an eine rechtsradikale Partei unternommen wird?
Es scheint, dass die Stadt, ihre Vertreter*innen und ihre Gremien der AfD in vielen Bereichen mit einer Gleichbehandlung weiterhin keine Angriffsfläche bieten wollen. Für viele Bürger*innen wird das auf Dauer bei all den wortgewaltigen Bekenntnissen gegen Rechts kaum nachvollziehbar sein.
Für uns führt an der entschlossenen Auseinandersetzung mit der AfD kein Weg vorbei. Wir müssen gemeinsam Möglichkeiten finden, die Raumnahme der Rechten zu verhindern. Dabei werden wir uns sicher auch hin und wieder angreifbar machen, denn die AfD wird jede Regelung und jedes demokratische Prinzip zu einem Instrument zur Durchsetzung ihrer Propaganda machen. Das  hinzunehmen oder gar zu ignorieren, können wir uns nicht leisten. Denn dort, wo die Rechten in Ruhe gelassen werden, werden sie stärker. Und die AfD ist jetzt schon viel zu stark.
Wir gehen nicht davon aus, dass die Veranstaltung der AfD am Montag durch eine Rücknahme der Vermietung verhindert wird. Deshalb rufen wir alle erneut auf, sich auf unserer Kundgebung ab 17:30 vor dem Gesellschaftshaus Pfaffengrund lautstark gegen die AfD zu stellen. Den Mitgliedern des Stadtteilvereins bieten wir weiterhin den Dialog an: Wenn ihr euch wirklich gegen die AfD wehren wollt, dann lasst uns gemeinsam Wege dafür finden!
Gemeinsam gegen rechte Hetze!


Offener Brief an den Stadtteilverein Heidelberg-Pfaffengrund 

anlässlich der erneuten Vermietung der städtischen Vereinsräume an die AfD
Am 25.03. will die AfD im Gesellschaftshaus Pfaffengrund einen Bürgerdialog abhalten und hat dafür einige hochrangige Parteifunktionäre aus Baden-Württemberg eingeladen. Dagegen organisieren wir ab 17:30 eine Kundgebung vor dem Gesellschaftshaus, denn rechte Hetze darf nicht unwidersprochen bleiben!
Darüber hinaus haben wir einen offenen Brief an den Stadtteilverein Heidelberg-Pfaffengrund verfasst, da wir nicht wollen, dass das Gesellschaftshaus zum wiederholten Mal ein Rückzugsort für rechte Hetze wird
Sehr geehrte Engagierte im Stadtteilverein Heidelberg-Pfaffengrund,
mit Bedauern müssen wir feststellen, dass die AfD am 25.03.24 ein weiteres Mal eine Veranstaltung im Gesellschaftshaus Pfaffengrund ausrichten will.
Mit den Veröffentlichungen der Recherche-Plattform „Correctiv“ Anfang des Jahres wurde einmal mehr deutlich, was die AfD für eine Partei ist: Die AfD verbreitet Rassismus, hetzt gegen Migrant*innen sowie andere an den Rand der Gesellschaft gedrängte Menschen und ist eine Gefahr für alle, die nicht in ihr rückwärtsgewandtes Weltbild passen. In Heidelberg hat erst Ende letzten Jahres ein AfD-Politiker einen Stadtrat angegriffen, der sich wiederholt kritisch zur AfD geäußert hatte.
Die AfD will unsere Gesellschaft nach ihrem völkischem Maßstab in Deutsche und Nicht-Deutsche und in Tüchtige und Wertlose einteilen. Wir müssen und werden uns diesem Gedankengut entgegenstellen. Wir können die Vermietung der Räumlichkeiten des Stadtteilvereins an die AfD daher nicht wortlos hinnehmen:
Das Gesellschaftshaus Pfaffengrund darf kein Ort für diejenigen sein, die mit Rassismus und anderen Diskriminierungsformen gegen ein gesellschaftliches Zusammenleben ankämpfen! Das Gesellschaftshaus darf kein Schutzraum für rechte Hetze sein!
Deshalb sagen wir: Überdenken Sie Ihre Entscheidung, die Räumlichkeiten des Stadtteilvereins an die AfD zu vermieten!
Sollten Sie an Ihrer Entscheidung festhalten, werden wir lautstark und sichtbar vor dem Gesellschaftshaus protestieren, denn wir werden die Hetze der AfD nicht unwidersprochen lassen. Auch in diesem Sinne hoffen wir, dass Sie eine Entscheidung treffen, die das Gesellschaftshaus in der öffentlichen Wahrnehmung nicht als Rückzugsort für Rechte zurücklässt.
Gezeichnet
Die Kampagne „Solidarität statt Nationalismus“

Rede der Kampagne Solidarität statt Nationalismus auf dem „Soli-Camp“ am 16.03.24

Vom 15.-17.03. fand auf dem Heidelberger Marktplatz das Soli-Camp statt, mit dem auf Rassismus, Abschottung, Abschiebung und die Entrechtung von Geflüchteten aufmerksam gemacht wurde. Am 16.03. beteiligten wir uns mit einer Rede an einer Kundgebung zum Thema Abschiebungen:

Ich bedanke mich im Namen der antifaschistischen Kampagne Solidarität statt Nationalismus zum einen dafür, dass auch wir heute das Wort an euch richten dürfen und zum anderen natürlich für euer Engagement. Unseren Redebeitrag möchten wir nutzen, um einige  Entwicklungen zu thematisieren, die untrennbar mit Migrationspolitik, Abschiebungen und Flucht zusammenhängen und uns dazu veranlasst haben, unsere Kampagne ins Leben zu rufen. Der sogenannte Rechtsruck in Deutschland, der medial als unabwendbar dargestellt wird, ist nichts, was erst mit der AfD begonnen hat oder nur durch die Bekämpfung der AfD aufgehalten werden könnte. Die Entwicklung, die sich jetzt zuzuspitzen scheint, ist das Ergebnis zahlreicher im Verlauf der letzten Jahrzehnte getroffener politischer Entscheidungen. Politische Entscheidungen, die von vorigen Regierungen getroffen wurden. Politische Entscheidungen, die nun auch die Ampel zu verantworten hat. Entscheidungen zugunsten benachteiligter Gesellschaftsgruppierungen wurden und werden nach wie vor blockiert oder gekippt. Rechte Politik – egal, wer sie macht – muss als solche erkannt, verurteilt und bekämpft werden. Deswegen lautet unsere Antwort, nicht nur auf eine erstarkende AfD, sondern auch auf die neoliberale Politik, die Diskriminierung und soziale Ungleichheit – Solidarität statt Nationalismus!

Trotz massiver Proteste gegen AfD und Bekenntnissen zu „nie wieder ist jetzt“ in der breiteren Gesellschaft, häufen sich Angriffe auf Geflüchtete, ihre Wohnungen und Geschäfte werden verwüstet und angezündet, Schüler*innen werden aus rassistischen Motiven von Lehrern krankenhausreif geschlagen, während von institutioneller Seite dazu geschwiegen wird. Wir haben Rechtsextreme mit Waffen bei der Polizei und der Bundeswehr, wir haben Rechtsextreme im Bundestag. Wir haben allein im letzten Jahrzehnt rechten Terror in Hanau, Halle und München erlebt. Und in den letzten Tagen brennen erne Flüchtlingsunterkünfte.

Aus Rostock-Lichtenhagen wird Berlin-Tegel, der Rest bleibt scheinbar gleich. Die mediale Hetze, die Normalisierung von rechtem Vokabular, das Herausarbeiten einer Wir-gegen-Sie-Mentalität, die Dämonsierung  von Geflüchteten zur Verschleierung politischer Fehlentscheidungen. Der Unterschied dieses Mal ist, dass kein wütender Mob zusieht und die Täter anfeuert. Der Mob beweihräuchert und inszeniert sich dieses Mal selbst. Der Mob zeigt auf die Täter, ganz empört, als seien sie selbst frei von Rassismus. Denn was ich verurteile und wogegen ich protestiere, das kann mir selbst wohl kaum innewohnen.

Von Großstadt bis Kaff wird gegen die AfD und für die Demokratie demonstriert. Und in all dem Tumult, dem ganzen Brainstorming nach dem ultra witzigen Spruch für das Demo-Schildchen, der Suche nach Edding und alten Kartons, geht beinahe unter, worum es geht. Dass die politische und gesellschaftliche Realität für Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrungen eine beängstigende und gefährliche ist, und das nicht wegen einer stärker werdenden völkischen Partei, sondern durch die Politik der regierenden Parteien, durch verinnerlichten Rassismus, aber vor allem durch das Schweigen jener, die es nicht betrifft. Jene, die privilegiert genug sind, um die Auswirkungen der politischen Entscheidungen nicht zu spüren. Das Schweigen jener Menschen, die mit ihrer Stimme Veränderung und Verbesserung in Gang setzen könnten.

Wir wollen nicht die Bedeutung der Proteste untergraben oder kleinreden, doch in diesen Zeiten reicht es nicht sich plakativ auf „wir sind mehr“ zu berufen und von gemeinsamen Werten zu sprechen. Die Zeiten, in denen wir uns befinden, erfordern gelebte Solidarität. Sie erfordern, dass jeder Mensch, der das Privileg hat, die Stimme gegen Repression und Diskriminierung zu erheben, dieses Privileg nutzt, um jenen Mitgliedern unserer Gesellschaft eine Stimme zu geben, denen kein Gehör geschenkt wird. Solidarität muss praktisch werden. Doch das endet nicht bei der Demo und mit einem einfallsreichen Pappschild. Wir müssen anfangen uns im nächsten Schritt mit der gesellschaftlichen politischen Realität zu beschäftigen. Denn während wir gegen das demonstrieren, was die AfD propagiert, verabschieden die regierenden Parteien zeitgleich Gesetze, die genau das realisieren und lediglich diplomatischer formulieren. Besonders die Grünen und die SPD, die sich selbst der bürgerlichen Mitte zuordnen und in vielen Bündnissen integriert sind, übernehmen immer mehr ehemalige AfD-Forderungen auf nationaler Ebene. Sie beschließen rassistische Asylrechtsverschärfungen wie die des „GEAS“ (Gemeinsames Europäisches Asylsystem) oder das „Rückführungsverbesserungsgesetz“ und entrechten Geflüchtete in Deutschland mit Schikanen wie der neu eingeführten Bezahlkarte, Verwehrung von Arbeitserlaubnissen und gleichzeitigen Forderungen nach Arbeitspflicht.

Und während der Bundeskanzler noch vor wenigen Monaten auf der Titelseite des Spiegels mit „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben“ zitiert wurde, solidarisierte er sich kürzlich mit den Protestierenden und dankte ihnen in einem Tweet: „Ich bin dankbar, dass Zehntausende in diesen Tagen überall in Deutschland auf die Straße gehen – gegen Rassismus, Hetze und für unsere freiheitliche Demokratie. Das macht Mut und zeigt: Wir Demokratinnen und Demokraten sind viele – viel mehr als diejenigen, die spalten wollen.“

Das sagt Scholz auf Twitter, als wäre die Gesellschaft nicht schon längst gespalten, ob in arm und reich oder durch Rassismus. Als würden Politik und Medien nicht durch Gesetze und verachtende Narrative ihren Teil beitragen. Als würde dieser nur durch die AfD in die Gesellschaft getragen werden, als ob dieses rassistische System nicht durch Abschiebungen zementiert würde.

Und diese Bundesregierung schiebt Menschen in unsichere Herkunftsländer ab, in denen ihnen Gefangenschaft, Folter oder sogar der Tod droht. Sie lässt sich erpressen von Kriegsverbrechern wie Erdogan und stuft Afghanistan als sicheres Herkunftsland ein, als wären deutsche Staatsbürger*innen nicht fluchtartig evakuiert worden. Als hätte man die nicht-deutschen Angestellten nicht feige zurückgelassen und ihrem Schicksal nach der Machtübernahme der Taliban überlassen.

Zusätzlich wurde mit der neoliberalen Krisenpolitik der letzten Jahre wurde die Last politischer Fehlentscheidungen zum Großteil auf die Arbeiter*innenklasse abgeladen. Besonders deutlich wurde dies in der Corona-Pandemie und der darauffolgenden Inflation, die die Lebenserhaltungskosten massiv erhöht hat.

Die Regierung antwortet mit Ausgrenzungsrhetorik: Geflüchtete werden stigmatisiert, sei es durch die Bezahlkarte und dem Argument „denen kannst du mit Bargeld nicht trauen!“ oder aber paradoxerweise mit Forderungen nach Arbeitspflicht und einer lächerlichen menschenunwürdigen Bezahlung, das selbst die 1€ Jobs unterbietet. Und wer abgeschoben wird oder davon bedroht ist, hätte ja auch bestimmt „Dreck am Stecken“ und es sicher darauf angelegt.

So werden genau die gegeneinander ausgespielt und aufgehetzt die eh wenig haben. Die Forderung der Bezahlkarte auch für Arbeitslose, die neuerdings erhoben wird, zeigt sehr deutlich, dass schlechte Lebensbedingungen nicht auf die Zahl von Geflüchteten im Land oder ankommenden Schutzsuchenden zurückzuführen sind. All das zielt letztlich darauf ab, die Solidarität aller Unterdrückten miteinander zu verhindern, indem Feindbilder untereinander produziert werden.

Wir vergessen nicht, dass nach den Ausschreitungen der Silvesternacht in Berlin, die Bekanntgabe der Namen gefordert wurde, in der festen Überzeugung es seien nicht-deutsche Namen.

Wir vergessen nicht, wie der deutsche Staat die Ermittlungen in Hanau geführt hat, wir vergessen nicht, dass 13 von 19 SEK-Beamten rechtsextrem waren.

Der aggressive Kurs der Herrschenden, sowohl auf wirtschaftlicher Ebene als auch zunehmend in Form von Kriegen, wird die Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnisse weiter verschärfen und weiter Fluchtursachen produzieren.

Weder die AfD noch die anderen bürgerlichen Parteien bieten einen Ausweg aus dieser Politik, sondern verbreiten rassistische Feindbilder und Durchhalteparolen. Die AfD gefährdet nicht die bestehenden Ausbeutungsverhältnisse, sondern will sie zementieren und gegen alle sozialen Kämpfe sichern. Den völkischen Nationalismus der AfD mit vermeintlich menschenfreundlichem Nationalismus bekämpfen zu wollen, scheint die Strategie zur Machterhaltung der regierenden Parteien zu sein. Einig sind sich beide Seiten im Ziel, das angebliche Wohl der Nation zu sichern und infolgedessen werden beide sämtliche Bewegungen, die diese Ordnung infrage stellen, bekämpfen. Wir halten die Kritik an genau diesen Zuständen für notwendig, um effektiv antifaschistisch kämpfen zu können. Dabei geht es um die Bedeutung von Solidarität und gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Danke, dass es euch gibt und ihr hier ein Zeichen der Solidarität mit Geflüchteten und gegen Abschiebungen setzt.

Hoch die internationale Solidarität!